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KaterRina
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06.07.2017
golocal
„Mist… Mist… Absoluter Mist! Warum kann ich nicht zu den glücklichen Menschen gehören, bei denen die voranschreitende Evolution des Menschen diese über…flüssigen Zähne aus grauer Vorzeit gleich ganz weggelassen hat?
Weisheitszähne mögen ja praktisch gewesen sein, als man noch Grassamen in der Savanne gemümmelt oder die ein oder andere Wurzel geknuspert hat, aber heutzutage ist das Gebiss nun einmal rund und nicht mehr rechteckig und wir sozial hochgezüchteten Engbeißerchen haben einfach keinen Platz mehr für das, was die Evolution für unser Schnäuzchen vorgesehen hat.
Ich prokrastiniere. Seit Ewigkeiten weiß ich, dass einer meiner Weisheitszähne quer liegt, aber bisher war das noch relativ unproblematisch… Auch, wenn mein Zahnarzt aus grauer Vorzeit mit mahnendem Finger meinte, dass Corpus Delicti irgendwann gezogen werden muss. Schmerzen waren keine da und damit auch kein Anlass zum Handeln, sondern eher ein Anlass zu gediegener Prokrastination. Leider war jetzt das Ende der prokrastinatorischen Fahnenstange erreicht und Handeln gefragt. Mist… Mist…
Auf der Suche nach einem neuen Dentisten meiner Wahl ließ ich mich von Freunden aus dem Umkreis beraten und mir wurde Dr. Hermle wärmstens empfohlen. Nach Telefongriff mit zittrigen Fingern, hatte ich auch alsbald einen Sichtungstermin meines Problemzahns…
Die Praxis liegt direkt im Tübinger „Regierungsviertel“ neben Landratsamt, Regierungspräsidium und Polizeiwache. Im zweiten und auch mit Aufzug erreichbaren Stock eines recht funktionalen Gebäudes befindet sich die sehr modern ausgestattete Praxis mit Terminbuchungs-Touchscreen-Terminal, viel dunklem Holz und rotem Sofa im Wartezimmer. Vom Wartezimmer aus kann man auf die Polizeiwache und die Ausläufer von Derendingen gucken. Ich warte und bange. Für durstige Wartende gibt's hier übrigens Mineralwasser aus Mini-Teinacher-Fläschchen, die man mit einem rosafarbenen Silikonhummer-Flaschenöffner aufmachen kann. Ich finde den Hummer spitze.
Wer noch Zähne putzen will oder muss, kann das in der Toilette erledigen. Dort stehen Einwegzahnbürsten und Zahncremes aller Couleur und sogar Zahnseide zur freien Verfügung.
Die Sichtung im topmodernen Zahnarztstuhl und mit ad-hoc Röntgen am Liegeplatz ergibt: das Weisheitsding muss raus und Prokrastination funktioniert nicht mehr. Mist… Mist…
Ich vereinbare am Touchscreen zwei neue Termine – einen zur professionellen Zahnreinigung und den zweiten zum Weisheitszahnexodus. Die Wartezeit ist mit drei Wochen recht moderat – das habe ich schon deutlich schlimmer erlebt und so lang wird das Relikt aus grauer Menschenvorzeit ja wohl auch hoffentlich noch stillhalten…
Die Zahnreinigung kurze Zeit später erfolgt routiniert durch eine nette Zahnarzthelferin. Ultraschall gegen Zahnstein, mein ach so geliebtes manuelles Gruselkratzen mit der Sonde, Zahnseide, Zitronenpulversandstrahlgerät gegen Verfärbungen und Minzfugenkittpolitur lasse ich brav über mich ergehen. Das anschließende Lackieren mit Fluoridlack ist nötig, aber scheußlich. Ich fühle mich für die nächste Stunde, als hätte ich einen Tiegel Nagellack gesoffen. Brr….
Der Termin des Weisheitszahnexodus naht und meine Nervosität steigt ins unermessliche. Kann ich meine Klappe umtauschen? Ich will nicht!!!
Am Tag X klettere ich auf den Zahnarztstuhl und harre der Dinge die da kommen mögen. Einer souveränen Betäubung sei Dank bekomme ich von all den Dingen nicht viel mit, aber ich bereue mal wieder, dass Knochen so wunderbar Schall leiten. Nach dem beherzten Einsatz des Medizinalpendants eines Dremels, der „M48 Zange“ und einem hässlichen Kreischquietschgeräusch ist Corpus Delicti Geschichte.
Eine Stunde Beißtamponade und eineinhalb Wochen Heilungsprozess später, bin ich sehr zufrieden mit der Behandlung und würde Dr. Hermle jederzeit weiterempfehlen. Der ein oder andere Spruch war ein bisschen rustikaler, aber ich bin nicht zum Sprücheklopfen und auch nicht zum Trösten, sondern zur Zahnbehandlung hier.
Auf jeden Fall weiß ich jetzt mal wieder, warum Zahnarzte früher zu den Handwerkern gezählt wurden… Meine Güte, was für ein Gezerre.
Mutige Menschen, die vor zwölf Uhr Mittag mit dem Auto anrücken, müssen bei der Parkplatzsuche eventuell ein bisschen Zeit mitbringen. Nach zwölf ist parken allerdings kein Problem mehr, Behördenhalbtageskraft-Feierabend sei Dank. Betäubungsgefährdete Menschen rücken besser gleich mit dem Bus Linie 2 an, der in unmittelbarer Nähe der Haustür alle halbe Stunde hält.
Von mir gibt’s vier Sterne. Ich komme auf jeden Fall wieder und werde hier dauerhaft Delinquentin, äh Patientin...”
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