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Nocolina
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16.01.2025
golocal
„Neuköllns süßes Geheimnis
Lübecker Marzipan kennt jeder, aber Berliner Marzipan? Dabei ist Berlin nicht nur die deutsche Hauptstadt, sondern wahr…scheinlich auch die Marzipan-Hauptstadt - nicht nur der Nation, sondern sogar der Welt! Warum wahrscheinlich: weil keiner das genau weiß, denn die exakten Zahlen werden nicht veröffentlicht. Und wer kennt Moll Marzipan? Die wenigsten, denn das Unternehmen fertigt nicht für den Endverbraucher, sondern für die Lebensmittelbranche. Aber Mandel und Aprikosenkern aus dem Hause Moll hat bestimmt schon jeder verzehrt, denn es beliefert viele große Hersteller von Süß- und Konditoreiwaren.
Das seit fünfzig Jahren in Neukölln ansässige Unternehmen geht auf den aus Lübeck stammenden Konditormeister Rudolf Moll zurück, der in der Gründerzeit nach Berlin kam und ab 1861 das Königshaus belieferte. Sein Marzipan erfreute sich so großer Nachfrage, daß er 1875 eine auf Marzipanmasse spezialisierte Fabrik gründete. Zeitlebens tüftelte er an der Herstellung von Marzipan und erfand das Dampf-Verfahren, das grundlegend für die industrielle Produktion war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Grundstück der völlig zerstörten Fabrik von der DDR enteignet, der Enkel des Gründers übersiedelte nach West-Berlin und baute die Firma dort allmählich wieder auf. 1965 endete die Familiengeschichte von Moll Marzipan, aber der wirtschaftliche Erfolg setzte sich fort, und heute ist das Unternehmen vielleicht der größte Marzipanhersteller der Stadt. Ebenfalls in Neukölln sitzt -> Lemke Marzipan, ein anderer Branchenriese.
Moll fertigt ausschließlich Produkte aus Mandeln wie Stifte, Blättchen, Krokant und Marzipanrohmasse sowie Persipan aus Aprikosenkernen. Die Rohstoffe kommen hauptsächlich aus den USA - dem weltweit größten Mandel-Anbaugebiet im kalifornischen Central Valley - und aus China, wo die kulinarische Nutzung von Aprikosenkernen eine lange Tradition hat. Marzipanrohmasse besteht lediglich aus drei Zutaten: blanchierte süße Mandeln, die mehr oder weniger fein gemahlen sind, Zucker und etwas Wasser.
Das Marzipan kam im Mittelalter vom Orient nach Europa. In Deutschland, der Nummer Eins bei Produktion und Konsum, verbreitete sich sein Ruhm von Lübeck aus, wo der Legende nach bei einer Hungersnot kein Getreide für Brot in den Lagern vorhanden war, nur noch Mandeln und Zucker, und so entstand das "Mandelbrot". Das aus süßen bzw. entbitterten Aprikosenkernen hergestellte Persipan galt früher als billiger Ersatz für Marzipan, doch heute ist der Preis etwa gleich. Es schmeckt etwas kräftiger und ist heller als die aus Mandeln gewonnene Masse.
Von der handwerklichen Herstellung der Confiserie-Zutat bis zur industriellen Fertigung war ein weiter Weg, denn Marzipan und Persipan sind äußerst heikel: die Masse enthält außer Fett vor allem Zucker, Eiweiß und etwas Wasser - der ideale Nährboden für Mikroben und Schimmel, erst recht bei höheren Temperaturen. Daher ist Hygiene beim gesamten Herstellungsprozess oberstes Gebot, und die Wirken genannte Vermischung der Zutaten bei etwa 100° C findet vollautomatisch ohne Personal im Reinraum statt.
Wie ernst Moll die Hygienevorschriften nimmt, konnte ich bei einer Werksführung erleben: unsere Schuhe wurden außen mechanisch und chemisch gründlich gereinigt, die Hände gewaschen und desinfiziert, wir trugen lange staubdichte Kittel mit geschlossenen Bündchen und Hauben. Bartträger erhielten eine besondere Maske, damit auch ja kein Härchen durch einen Luftwirbel auf den Lebensmitteln landet. Bei manchen Produktionsschritten wie der Reinigung der Mandeln wird nämlich nicht nur gerüttelt, sondern auch gepustet. Die Fabrik war äußerst eindrucksvoll: mal kalt, mal warm, zuweilen sehr laut (die Mitarbeiter tragen dort Gehörschutz) und manchmal verführerisch duftend.
Moll Marzipan hat in den letzten zwanzig Jahren neben dem Qualitätsmanagement kontinuierlich ins Umweltmanagement investiert und produziert heute klimaneutral. Das Unternehmen agiert nicht nur beim Einkauf global, etwa ein Fünftel der Produktion wird ins Ausland verkauft. Durch seine Verbindung mit Berlin und vor allem mit Neukölln handelt es auch lokal: Moll engagiert sich sozial, beispielsweise durch die Unterstützung eines nahegelegenen Sportvereins, der -> Rudergesellschaft Wiking, und des Berliner Wohlfahrtsträgers Unionshilfswerk.
Durch die Betriebsbesichtigung habe ich verstanden, was ein mittelständisches Unternehmen - Moll hat 100 Mitarbeiter - nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft bedeutet: für die Mitarbeiter, den Standort und die Menschen drumherum. Das hat mich in diesen schwierigen Zeiten hoffnungsvoll gestimmt. Und mit diesem Wissen schmecken mir das Hörnchen mit Persipanfüllung, das Tortenstück mit Marzipandecke und das Eis mit Mandelkrokant noch besser!
PS: Moll bietet keine regulären Betriebsbesichtigungen an.”
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