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01.04.2014
golocal
„Ich hab da so eine komische Angewohnheit. Wohin auch immer es mich verschlägt:Erst mal muß eine gewisse Infrastruktur geschaffen werden. Ich brauch me…in Büdchen zum Kippenkaufen, meinen Stammimbiß, die Stamm-Kaffeebud-und natürlich: Meine Stammkneipe.
Optimalerweise ist diese Stammkneipe wohnzimmergemütlich. Es wird ein gutes Bier kredenzt. Man kann sich an den Tresen schwingen und mit dem Wirt und/oder anderen Gästen palavern. Am schönsten ist es, wenn man, obwohl ortsfremd, beim nächsten Besuch gleich wiedererkannt und begrüßt wird. Und nach so einem Kneipenabend auf interessante Gespräche mit allen möglichen Leuten zurückblicken kann; von HartzIV-Empfängern bis Uniprofessoren.
So was gibt’s in Hamburg. So was gibt’s in Hong Kong. In Barcelona, Phnom Penh oder Münster. Und natürlich in Berlin.
Da hab ich inzwischen sogar mehrere Stammkneipen-und wünschte, ich könnte wenigstens eine davon mit nachhause nehmen. Dafür könnten die Berliner gerne alle Schnöselsdorfer Fluffylounges haben, die ich nicht brauche und die mir nicht fehlen würden, wenn es sie nicht gäbe.
Und hätte ich die Wahl, wäre mein Favorit derzeit das „Offside“ im unter Touris nicht gerade hoch gehandelten Wedding.
Zugegeben: Ein Highlight für’s Auge war der Weg vom Bahnhof Gesundbrunnen zur Jülicher Str. nicht gerade. Ohne den Tipp eines gewissen Kollegen wären wir bestimmt nicht auf die Idee gekommen, zwischen diesen tristen Mietskasernen (Abteilung :Set für „Aktenzeichen XY“) nach einer gemütlichen Pinte zu suchen. In einer solchen Gegend würde es so etwas hier auch gar nicht geben. Pinte schon, aber gemütlich? Empfehlenswert? Nein.
Eher abschreckend wirkte auch das Wort „Pub“ und die Guinness-Werbung. Hier zumeist Garant für einen völlig überteuerten pseudoenglischen Schuppen und Guinness mag ich überhaupt nicht. Aber der Kollege erwähnte da guten Whisky..
Tür auf, wir rein. Wedding draußen. Willkommen im Wohnzimmer.
Das Offside hat viel Holz, viel Qualm (herrlich!), viele Gemälde „mit Patina“. Saugemütlich. In diesem Laden könnte man sich auch gut eine alte Absinth-Kaschemme vorstellen. Rockig-antiquierte Mucke in Hintergrundlautstärke. Eine gut sortierte Bar, das sticht sofort ins Auge. Und zwei freie Plätze am Tresen. Herz, was willst du mehr?
Wir wurden sofort freundlich begrüßt. Was trinkt man hier? Einfallslos orderten wir das erste und letzte Berliner Pils.
Trank außer uns auch kein Mensch. Wozu auch? Berliner Pils in diesem Laden-da kann man sich in der Burgerschmiede auch gleich einen Salat bestellen.
Denn hier gibt’s außer dem maschinenölmäßigen englischen Dunkeltrunk an die 650 Whiskysorten (aber ha! Meinen Lieblingsbourbon haben sie nicht!)und anderen hochprozentigen Sprit. Dazu noch eine besondere Spezialität für den Bierfreund: Das gute Eschenbräu.
Welches uns von dem netten Typen hinter dem Tresen auch gleich ans Herz gelegt wurde; ein mehr als lokaler Gerstensaft aus einer kleinen Weddinger Privatbrauerei. Privatbrauereien unterstütze ich liebend gern. So schwingt man sich elegant von schnödem Suff zu einer noblen Fördergeste auf. Man muß ja auch an die Kleinwirtschaft denken;-)
Das Eschenbräu ist ein ganz vorzüglicher naturtrüber Tropfen, der auf den ersten Schluck gewöhnungsbedürftig schmeckt. Fast so, als wäre ein Hauch Zitrone drin. Ich hasse Bier, das nicht nach Bier schmeckt-aber wie auch bei unserem Uerige Alt muß man dem Gaumen eine Chance geben. Süffig und lecker. Dazu, nebenbei bemerkt, außerordentlich bekömmlich. Unbedingt probieren!
Tja, und die Whiskyauswahl. So was habe ich wirklich noch nie gesehen. Und auch nicht so viele Whiskytrinker. Wohlgemerkt, wir waren im Wedding. Nicht in der Lounge des schicken Breidenbacher Hofs. Weit und breit keine Manschettenknöpfe, Rolexuhren oder MacBooks zu sehen.
Stattdessen genoß hier der eine oder andere Weddinger Connaisseur ein edles Feierabendtröpfchen in Faßstärke mit einem Wässerchen. Unauffällig gekleidet und rustikal berlinernd. In Schnöselsdorf unvorstellbar.
Überhaupt wird hier einiges unternommen, um das Thema Whisky auch dem unbedarften Kunden nahezubringen. Ein „Whisky of the month“ wird angeboten; tolle Idee. Bei unserem Besuch gab es 2 cl 14-jährigen Oban für sage und schreibe EUR 2,80. Wer kann da schon widerstehen? Eine gute Gelegenheit, die meist aus düsteren Jugendzeiten stammende Abneigung gegen Whisky noch mal auf den Prüfstand zu stellen, ohne allzuviel Bares zu investieren. Und die aus meiner Sicht zwingend notwendige Erfahrung zu machen, daß ein guter Single Malt absolut nichts mit dieser schrecklichen Jim Beam-Colaplörre zu tun hat, um die sich die fürchterlichen Erinnerungen von früher ranken.
Wer diese Erkenntnis gewonnen hat, kann im Offside auch an den regelmäßigen Whisky-Seminaren teilnehmen, zu einem unglaublich günstigen Preis.
Unser Mundschenk (obwohl man ihm das wirklich nicht ansah) hatte unglaublich viel Ahnung von Whisky und brachte sie auch freudig an den Mann, so daß wir eigentlich kein Seminar mehr brauchten. Dazu kamen noch die „Berliner Geschichten“, vom Tresennachbarn aus dem Nähkästchen hervorgeholt. So war der viel zu schnell vergangene Abend nicht nur feucht-fröhlich, sondern auch überaus lehrreich. Ich muß doch mal versuchen, den nächsten Berlinbesuch bei meinem Boss als Bildungsurlaub durchzudrücken:-)
Aber nicht nur trinken und schwätzen kann man im Offside. Wer beim Feierabendbier/-whisky seine Ruhe haben will, kann sich am Zeitungsangebot bedienen. Dartspiel geht auch-den Räumlichkeiten angepaßt ganz „oldschool“ mit antiker Korkscheibe. Das erspart den anderen Gästen nerviges Tüdelü. Sogar was essen kann man, wenn zwischendurch der Magen nach Grundlagenauffüllung schreit. Das Irish Stew hätte mich sehr gereizt, aber der Mix Ketwurst/CurrywurstPommes und Lammeintopf auf Whisky und Bier schien mir unangebracht.
Das ladenfüllende Publikum ist bunt gemischt, was Alter und mutmaßlichen sozialen Hintergrund angeht. Nicht zu sehen waren allerdings Sturztrunkene und Mitte-Hipster. Aber wer braucht die schon?
Auf den zwar länger nicht renovierten, aber sauberen Toiletten kann man übrigens auch ganz gut verweilen und sich die an der Tür angebrachten „aktuellen Durchsagen“ in Sachen Whisky des Monats oder geplante Events durchlesen-oder die originelle Whiskydosendeko an der Decke begucken.
Gibt’s auch was zu meckern? Nö. Einziger Wermutstropfen:
Aus Sicht des Nachtschwärmers schließt der Laden zu früh. Um 0:00 Uhr ist Zapfenstreich. Da geht für mich der Abend meistens erst richtig los. Man wird allerdings nicht genötigt, sein Getränk auf Ex runterzukippen, weil die Herrschaften Feierabend machen wollen, wie ich das aus der Heimat kenne.
„Trinkt in Ruhe auf, so eng sehen wir das nicht. Es ist ja auch noch einiges zu putzen, da hab ich wenigstens ein bißchen Gesellschaft.“ Nett, einfach nett.
Und am nächsten Abend waren wir halt einfach ein bißchen früher da;-)
Fazit: Ein urgemütlicher Ort, den man kennen sollte. Und als Whiskyfan kennen muß.”
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